Eine Meisterleistung des Stahlbaus
PAZ-Serie zur Geschichte der Ilseder Hütte (31.10.2007)
Teil 9: Tonnenweise Möller und Koks wurden zuerst mit der Elektrohängebahn und dann mit der Bandbegichtungsanlage zu den Hochöfen transportiert
Von Thomas Kröger
7200 Tonnen Möller und 2700 Tonnen Koks haben die Hochöfen des Ilseder Hüttenwerks bereits um 1920 pro Tag verschlungen. Damit diese riesige Menge in die Hochöfen kam, baute man zuerst eine Elektrohängebahn, die später von einer modernen Bandbegichtungsanlage abgelöst wurde.
Ilsede: Sie hat mehr als 45 Jahre das Bild des Hüttenwerks entscheidend geprägt: Die 30 Meter hohe Elektrohängebahn, die 1921 gebaut wurde und die Hochöfen ständig von zwei Seiten mit Koks und Möller versorgte. Das Stahlgerüst war eine gigantische Nietkonstruktion, da damals die Technik des Schweißens noch nicht möglich war.
„Die Hängebahn war eine Meisterleistung des Stahlbaus und eine riesige Arbeitserleichterung, denn vorher mussten viele Arbeiter mühsam die Einsatzstoffe mit Schaufeln in die Kübelwagen verladen und zu den Hochöfen schieben“, sagt Manfred Vorberg, ehemaliger Leiter der Instandhaltung auf dem Hüttenwerk.
Die Elektrohängebahn übernahm die schwere körperliche Arbeit, und die gesamte Logistik der Rohstoffversorgung für die Öfen wurde komplett umgekrempelt. Von den ursprünglich 300 Arbeitern benötigte man dann nur noch 50. „Die übrigen 250 Arbeiter wurden aber nicht entlassen, sondern erhielten andere Jobs im Hüttenwerk“, betont der Groß Ilseder.
Erz und Koks kamen in Selbstentladewagen auf den Erz- oder Koksbunker und wurden dort entleert. Der selbst erzeugte Koks wurde direkt an der Kokerei abgeholt. Unter den Bunkern waren Trichter angeordnet, über die die Hüttenarbeiter die jeweils 3600 Hängebahnwagen befüllten. Vorberg erklärt: „Diese Transportwagen konnten auf der Möllerseite bis zu 2,4 Tonnen fassen, auf der Koksseite waren es 0,8 Tonnen. Sie hingen an der Stahlkonstruktion und fuhren von Elektromotoren angetrieben einen Meter pro Sekunde.“
Die Wagen wurden exakt gewogen und in der Regel zu zehnt für jeden Hochofen zusammengestellt. Die Wagengruppe fuhr dann zur Schrägstrecke und ein Seil, von einer großen Seilwinde angetrieben, zog sie wie ein Ski-Lift auf die 30 Meter hohe Gichtbühne. Von dort aus ging es entsprechend der Weichestellung an den gewünschten Hochofen, wo ein Arbeiter die Wagen an der Ofengicht abkippte. „Sowohl auf der Möller-als auch auf der Erzseite liefen den Hochöfen jeweils 150 Wagen in der Stunde zu“, weiß Vorberg.
Als sich jedoch die Produktionsleistung der modernen Hochöfen erheblich steigerte, konnte die Anlage aus dem Jahr 1921 nicht mehr mithalten. Deswegen wurde die Elektrohängebahn im Jahr 1965 durch eine elektronisch gesteuerte zentrale Bandbegichtungsanlage mit Gummi-Förderbändern ersetzt.

Der Experte erklärt: „Faszinierend war, dass die neue Anlage während des laufenden Betriebes über die alte Hängebahn hinweg gebaut wurde. Die gesamte Montage der Anlage hat etwa ein Jahr gedauert. Ab 1967 wurde die Elektrohängebahn Stück für Stück abgebrochen. Das war eine tolle Leistung, denn es hat dabei überhaupt keine Produktions-Unterbrechung gegeben.“



Mit den modernen Hochöfen 3,4 und 5 konnten ab 1973 monatlich 150 000 Tonnen Roheisen erzeugt werden. Dafür benötigten die Hochöfen täglich 10 000 Tonnen Möller und 3200 Tonnen Koks. Die Förderbänder mit einer Gesamtlänge von 4500 Metern hatten eine Breite von bis zu 1,80 Metern. „Die Anlage war damals das Modernste, was es gab, und durch die komplette Verkleidung der Bandbegichtungsanlage wurde das Transportsystem auch viel sauberer. Das hat man dem ganzen Hüttenwerk angemerkt“, betont Vorberg.
In einer zentralen Steuerwarte wurden nun nach Vorgaben der Hochofen-Ingenieure sowohl der Hochofen-Prozess als auch der Möller- und Kokstransport überwacht und gesteuert. Die Anlage lief mit hoher Präzision bis zum Ende der Roheisenproduktion in Ilsede im Jahr 1983. Der Experte sagt: „Es gab nie große technische Probleme mit der Anlage. Außerdem war das Personal gut ausgebildet und beherrschte die Technik.“



Bezugsquelle: Text und Fotos stammen aus der Peiner Allgemeinen Zeitung (PAZ) Serie zur Geschichte der Ilseder Hütte. Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe vom 31.10.2007.